Die IV Tirol stimmt mit der Kritik der von Experten und Praktikern, wie Georg Dettendorfer, die am 27.11. im Rahmen der „Igler Mobilitätsgespräche“ formuliert wurden, überein: Mit Tirols Transitpolitik kann es so nicht mehr weitergehen. „Auch wenn es die Politik nicht gerne hört: Die bisherigen Maßnahmen, wie Blockabfertigungen und sektorale Fahrverbote, haben weder die Verkehrsbelastung reduziert, noch die dringend benötigte Entspannung für die Menschen entlang der Tiroler Transitrouten gebracht, die uns schon seit Jahren versprochen wird. Stattdessen sorgen sie für mehr Umwege wegen des sektoralen Fahrverbots, höhere Kosten und zusätzliche Emissionen. Die Diskussion ist festgefahren und das gegenseitige Blockieren von Vorschlägen zwischen Tirol, Italien und Deutschland hat den politischen Spielraum nahezu vollständig eingeschränkt“, kritisiert Max Kloger, Präsident der Industriellenvereinigung Tirol. „Es braucht eine Neuausrichtung in der Transitpolitik, der sowohl den wirtschaftlichen Anforderungen als auch den Bedürfnissen der betroffenen Bevölkerung gerecht wird.“
Pragmatische und innovative Lösungen gefordert
In dieselbe Kerbe schlägt Matthias Danzl, Werksleiter des EGGER Stammwerks in St. Johann, der sich bereits seit Jahrzehnten mit der Tiroler Transitproblematik beschäftigt und mehrfach, gemeinsam mit anderen Entscheidungsträgern aus der Tiroler Industrie und Wirtschaft, Vorschläge aus der Praxis zur besseren Bewältigung der Transitproblematik bei der Landesregierung eingebracht hat. Nach Ansicht des Experten ist die Zeit für eine Neuausrichtung der Tiroler Transitpolitik gekommen – mit einem offenen Blick auf pragmatische, innovative Lösungen, die nicht nur die Belastung der Bevölkerung verringern, sondern auch den Anforderungen einer modernen Wirtschaft gerecht werden. „Man muss der Bevölkerung endlich reinen Wein einschenken und versuchen, mit einer faktenbasierten Diskussion die hoch emotionale Lage zu entschärfen. Der Transit durch Tirol ist gekommen, um zu bleiben. Deshalb gilt es, die Verkehre smarter zu lenken und statt mit zahnlosen Maßnahmen zu agieren, die Realität europäischer Regeln sowie die Bedeutung der Brennerroute für den Binnenmarkt anzuerkennen“, ist sich Danzl sicher.
Für Danzl steht aber auch fest, dass die Eröffnung des Brenner Basistunnels (BBT) die beste Chance auf Entlastung der verkehrsgeplagten Tiroler Bevölkerung darstellt, wenn es gelingt, das Potenzial des BBT voll zu nutzen: „Der Brenner Basistunnel ist die großartige und wichtige Lösung zur Verminderung der Transitbelastung der Bevölkerung entlang der Brennerachse. Die politische Anstrengung sollte sich auf eine maximale Nutzung des BBT nach Inbetriebnahme durch Vereinbarungen mit unseren Nachbarländern und der EU konzentrieren.“
Forderungen der IV Tirol:
Um wieder Bewegung in die verfahrene Transitdiskussion zu bringen, haben Vertreter der Tiroler Industrie folgende innovative Ideen entwickelt:
Mehr Dialog, weniger Konfrontation
Das kategorische Nein der Tiroler Landesregierung, bisherige, nachweislich nicht effiziente Maßnahmen zur Eindämmung des LKW-Transits anzupassen, hat in Italien, Deutschland und der EU das Klima gegenüber Tirols Maßnahmen deutlich verschlechtert, wie die Transitklage Italiens zeigt. Statt auf Blockade zu setzen, sollte Tirol den Dialog mit seinen Nachbarn suchen. Eine faktenbasierte Zusammenarbeit, die sowohl den freien Personen- und Warenverkehr als Grundprinzip der EU als auch die besonderen Herausforderungen für Tirols Menschen und Verkehrsinfrastruktur anerkennt, könnte eine Win-win-Situation schaffen und pragmatische Lösungen hervorbringen, die Bevölkerung und Wirtschaft gleichermaßen gerecht werden.
Dynamische Verkehrssteuerung statt Blockabfertigung
Das starre Modell der LKW-Blockabfertigung funktioniert nicht und ist nicht geeignet, den LKW-Transit einzudämmen. Sie erzeugt unnötige Staus und Umwege, die Emissionen und Kosten erhöhen. Ein dynamisches, digitales Verkehrsmanagementsystem, basierend auf Livedaten, könnte hier Abhilfe schaffen. Die Infrastruktur dafür ist bereits vorhanden: Die ASFINAG sammelt kontinuierlich Echtzeit-Verkehrsdaten entlang aller Tiroler Transitrouten. Durch Evaluierung dieser Daten und weitere Investitionen in ein dynamisches System der Verkehrssteuerung ließen sich Verkehrsströme gezielt lenken und Stoßzeiten effizient entzerren, was Güter-, Pendler- und Reiseverkehr gleichermaßen entlasten würde.
Nachtfahrverbot überdenken
Das derzeitige Nachtfahrverbot, auch für schadstoffarme LKW, ist einer der Hauptgründe für überfüllte Straßen während der Hauptverkehrszeiten. Eine Verkürzung der Sperrzeit bis 3:00 Uhr morgens, ausschließlich für LKW der Euro-6-Klasse, könnte den Verkehrsfluss deutlich verbessern. LKW der neuesten Generation erreichen dabei eine maximale Lautstärke von 80 Dezibel – vergleichbar mit einem Staubsauger oder einer normalen Unterhaltung – und stellen somit keine nennenswerte zusätzliche Lärmbelastung dar.
Eigene Verladeinfrastruktur für den BBT
Der Brenner Basistunnel ist zentral für die Zukunft des alpenquerenden Güterverkehrs. Seine volle Wirkung wird er jedoch erst mit den Zulaufstrecken in Deutschland und Italien entfalten, deren Fertigstellung noch Jahre dauern wird. Tirol und seine Nachbarländer sollten intensiv über Übergangslösungen zur Befüllung des BBT ohne die Verfügbarkeit der Zulaufstrecken nachdenken. Ein leistungsfähiger Verladeterminal in Kufstein oder Langkampfen könnte Güter von der Straße auf die Schiene und damit in den BBT bringen. So würde die zukünftig vorhandene Schieneninfrastruktur optimal genutzt und der Verkehr auf Tirols Autobahnen entlastet.
Experteneinschätzung: Warum der Güterverkehr auf der Schiene stockt
Die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene wird oft als Lösung aller Transitprobleme angeführt. Doch zahlreiche Hindernisse erschweren die Umsetzung.
Infrastrukturelle Defizite
Die technischen Lösungen für intermodale Transporte – Vor- und Nachlauf mit LKW, Hauptlauf auf der Bahn – sind vorhanden, doch es fehlen die nötigen Kapazitäten und Voraussetzungen. Veraltetes Zugmaterial, unzureichende Anschlussgleise und fehlende Intermodalität verhindern eine Verlagerung. Besonders gravierend sind unvollständige Zulaufstrecken, wie in Bayern, die zusätzliche Züge kaum aufnehmen können. Ohne strategische Zusammenarbeit mit Nachbarstaaten und der EU bleibt eine Lösung unrealistisch.
Kosten und Zuverlässigkeit
Die Schiene ist auf kurzen Strecken teuer und weniger zuverlässig als die Straße. Auf langen Strecken (über 500 km) kann der Schienentransport jedoch günstiger sein, aber: Verspätungen, die Priorisierung des Personenverkehrs durch fehlende eigene Trassen für den Güterverkehr und unzureichende Planbarkeit schrecken Unternehmen ab. In einer globalisierten Wirtschaft, in der Just-in-Time produziert wird, sind solche Unsicherheiten ein No-Go für die Betriebe.
Unübersichtliche gesetzliche Lage
Unterschiedliche nationale Regelungen und technische Standards erschweren den grenzüberschreitenden Verkehr. Diese Komplexität erhöht Kosten und Verzögerungen, was die Schiene für viele unattraktiv macht.
Fehlender politischer Wille
Während die Forderung zur Verlagerung auf die Schiene oft erhoben wird, bleibt diese angesichts ineffizienter Rahmenbedingungen bloße Theorie. Ohne nachhaltige Investitionen in Infrastruktur, modernes Wagenmaterial und klare Anreize für Unternehmen bleibt die Schiene kaum wettbewerbsfähig. Der Fokus sollte auf der Vorbereitung des Brenner Basistunnels liegen – der echten Lösung für die Transitproblematik.
Grenzen der Rollenden Landstraße
Die Rollende Landstraße (RoLa), bei der komplette LKW auf Züge verladen werden, benötigt spezielle Terminals und hat begrenzte Kapazitäten. Hohe Kosten und der Zeitaufwand für Verladung und Begleitung durch den Fahrer machen sie für viele Unternehmen unattraktiv. Der fehlende Nutzen im Verhältnis zum Aufwand lässt sie als langfristige Lösung scheitern.
Herausforderungen des kombinierten Verkehrs
Der kombinierte Verkehr, bei dem nur Trailer auf die Schiene verladen werden, bietet auf längeren Strecken Potenzial. Doch mangelnde Infrastruktur, komplexe Logistik, unterschiedliche internationale Standards und zusätzliche Umschlagzeiten erschweren die Umsetzung. Solange diese Hindernisse nicht beseitigt werden, bleibt auch der kombinierte Verkehr nur eingeschränkt nutzbar.
Forderung nach Ehrlichkeit
Die Schiene ist derzeit keine vollwertige Alternative zur Straße. Der Politik obliegt es, die realen Zwänge – wie unzureichende Kapazitäten, ineffiziente Strukturen und fehlende Anreize – offen zu benennen. Nur so kann ein nachhaltiger, effizienter Warenverkehr durch die Alpen vorbereitet werden, mit dem Brenner Basistunnel als zentralem Element.