Wenig später wurden in sechs österreichischen Bundesländern, darunter auch in Tirol, eigene Landesgruppen unserer Vereinigung gegründet.
Die Tiroler Industrie zählte zu den Ersten unter ihnen, die sich neu formierten.
Die Industriellenvereinigung entschloss sich somit schon früh – inmitten der Bewältigung der Kriegsschäden bzw. Kriegsfolgen und in einem Lande, das von vier Mächten besetzt war – ein klares Signal für eine föderalistische Struktur zu geben. Das scheint uns heute, in einer Zeit des gesellschaftlichen Pluralismus, der grundsätzlichen Anerkennung des Subsidiaritätsprinzips und des erfolgreich gelebten föderalstaatlichen Prinzips als eine Selbstverständlichkeit.
Auf dieser Gründerwelle jener beherzten Industriellen, die fest entschlossen waren, die Industriestaatlichkeit Österreichs wiederherzustellen, begründeten wir die folgenden Jahrzehnte erfolgreicher interessenpolitischer Arbeit.
Wenn wir heute angesichts der Globalisierung des Wettbewerbs, der konjunkturellen Probleme, des rasanten Strukturwandels und der atemberaubenden Veränderungsgeschwindigkeit in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft gelegentlich die „Mühsal der Gegenwart“ bejammern, dann sollten wir uns gerade in Stunden wie dieser daran erinnern, um wie viel schwieriger, politisch komplizierter und gesellschaftspolitisch angespannter die Ausgangssituation jener Industrieexponenten war, die sich bald nach der Beendigung des Zweiten Weltkrieges zum Aufbauwerk der Errichtung einer bundesweiten Industriellenvereinigung entschlossen haben. Ohne die Probleme der Gegenwart beschönigen zu wollen: In der akuten Mangelsituation der ausgehenden vierziger Jahre gehörten wohl beherztes Engagement und unverwechselbares weltanschauliches Bekennertum dazu, eine industrielle Arbeitgeberorganisation, basierend auf freiwilliger Mitgliedschaft, klarem ordnungspolitischem Fundament, flächendeckend in Österreich zu installieren.
Die Gründerväter der Industriellenvereinigung haben sich vorbehaltlos zur Industriestaatlichkeit westlicher Prägung bekannt. Nach den Erfahrungen der Zwischenkriegszeit und den brutalen, zerstörerischen Folgen des Zweiten Weltkrieges bekannten sie sich zu einer pluralistischen Gesellschaft, zum Interessensausgleich zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern in der informellen Struktur der österreichischen Sozialpartnerschaft. Sie legten ein klares Bekenntnis zur Lebensfähigkeit, zum Lebenswillen und der internationalen Geltung dieses kleinen Österreich ab.
Die Ausgangslage war in den einzelnen Bundesländern recht unterschiedlich. In Ostösterreich und teilweise auch in Oberösterreich spielte das ehemalige so genannte "Deutsche Eigentum" bei der Wiederinstandsetzung der Grundstoffindustrie eine erhebliche Rolle. Die beiden Verstaatlichungsgesetze der Jahre 1946 und 1947 definierten einen im internationalen Vergleich hohen Anteil der öffentlichen Hand an industrieller Eigentümerschaft. Eine Entscheidung, die für die ersten Nachkriegsjahrzehnte möglicherweise eine richtige war, deren politisch-ökonomische Konsequenzen in späterer Folge jedoch dieses Land viel an industrieller Substanz und den Steuerzahler viele Milliarden an Sanierungslehrgeld kosteten.
Die Gründer der Industriellenvereinigung waren fest entschlossen, eine Interessenvertretung der österreichischen Industrie zu sein. Die bereits erwähnte Verstaatlichung und der intensive politische Einfluss in diesen Unternehmungsgruppen verhinderte dies bis weit hinauf in die achtziger Jahre.
Das Bundesland Tirol war in dieser Hinsicht in einer vergleichsweise wesentlich besseren Position. Hier haben gleich nach dem Krieg bedeutende industrielle Unternehmerfamilien die Ärmel hochgekrempelt und haben aus dem Land binnen kurzer Zeit eine prosperierende, im internationalen Wettbewerb sich bewährende Industrieregion gemacht.
Die Internationalisierung der Tiroler Industrie, vor allem was die Exportmärkte betrifft, war in den ersten Nachkriegsjahren wesentlich weiter fortgeschritten als im Osten des Landes, wo die Tatsache, dass weite Teile von der Sowjetunion besetzt waren dazu führte, dass die passive Internationalisierung, also das Engagement des ausländischen Investors, relativ spät, im Wesentlichen erst nach Abschluss des Staatsvertrages, einsetzte.
Tirol war es auch, das in der Frage der gesellschaftspolitischen Orientierung der unternehmerisch Tätigen Maßstäbe setzte. Die gesamtgesellschaftliche Verantwortung des Industriellen war in diesem Bundesland nie eine leere Floskel aus Sonntagsreden, sondern der gelebte, betriebsinterne Alltag. Man erinnere sich in diesem Zusammenhang an die gesellschaftspolitische Verantwortung und das soziale Engagement der Unternehmerfamilien Schwarzkopf und Swarovski. Fest verankert in einer fundierten christlichen Weltanschauung, die diesem Land gelegentlich den journalistisch saloppen Beinamen „das heilige Land“ einbrachte, haben sich die Unternehmer dieses Bundeslandes frühzeitig nicht nur um das eigene Unternehmen, sondern auch um die res publica, über die Öffentlichkeiten, die das Unternehmen jeweils umgeben, gekümmert.
Kooperativer Führungsstil, umfassende Mitarbeiterinformation, Modelle zur Mitarbeiterbeteiligung, Obsorge für die Familien der eigenen Mitarbeiter sowie das Engagement der unternehmerisch Tätigen in den Gemeinden, in der Landespolitik, in den Interessenvertretungen, in den Schulen und in den Kirchen, das alles setzte Maßstäbe. Maßstäbe, die in den sechziger und siebziger Jahren, als sich die gesamte Industriellenvereinigung auch den Unternehmern kraft Funktion und dem gesellschaftspolitischen Dialog der industriellen Führungskräfte zuwandte, für ganz Österreich beispielgebend waren. Im New Speak unserer Tage hieße das wohl Benchmarking. Das gesellschaftspolitische Benchmarking der Tiroler Industrie war über Jahre hinweg bei der Suche der neuen gesellschaftspolitischen Rolle des industriellen Unternehmers wegweisend. Wir haben als Verband bei der Öffnung zu einem breiteren gesellschaftspolitischen Engagement wertvolle Impulse erhalten. Erst spätere, verbandswissenschaftliche Analysen und Aufarbeitungen werden diese Rolle wohl zu dokumentieren und zu würdigen wissen.
Es ist ohne Zweifel eines der Hauptverdienste der Tiroler Industrie und somit auch der Industriellenvereinigung, in einem Land, das wohl zu den fremdenverkehrsintensivsten Regionen der Welt zählt, die Industriestaatlichkeit in Symbiose mit der Natur bewahrt und ausgebaut zu haben. Das ist keineswegs auch nur ein Ansatz der Polemik gegenüber der Tourismuswirtschaft. Im Gegenteil:
Ihr verdanken wir einen nicht unwesentlichen Beitrag zum Bekanntheitsgrad und zur Weltgeltung Österreichs. Aber selbst in diesem so fremdenverkehrsintensiven Land ist die Produktionswirtschaft der mit Abstand wichtigste Wirtschaftszweig. In keinem einzigen österreichischen Bundesland gibt es irgendeinen Wirtschaftszweig, dessen Beitrag zum Bruttoregionalprodukt höher wäre als jener der Industrie.