Lange gefordert, endlich präsentiert: Das Entbürokratisierungspaket liegt auf dem Tisch. Doch ist es der erhoffte Befreiungsschlag? Eine kritische Bestandsaufnahme – vom „One-Stop-Shop“ bis zum Ende des „Gold Plating“. Fest steht: Wer Kosten senken und Wettbewerbsfähigkeit steigern will, muss nicht nur Gesetze ändern, sondern die Amtskultur.
Kommentar von Michael Mairhofer, Geschäftsführer der IV Tirol
Die Schere zwischen Kosten und Leistung geht in Österreich gefährlich weit auseinander. Ein Blick auf die Daten ist ernüchternd: Während die Lohnstückkosten seit 2016 um 34,6 Prozent explodiert sind, wuchs die heimische Arbeitsproduktivität im selben Zeitraum lediglich um 5,1 Prozent. Zuletzt ist sie sogar geschrumpft. Besonders alarmierend ist der Vergleich mit unserem wichtigsten Handelspartner: Unsere Lohnstückkosten stiegen zuletzt jährlich um 1,2 Prozentpunkte stärker als in Deutschland. Diese Entwicklung setzt unsere preisliche Wettbewerbsfähigkeit unter massiven Druck.
Wer teurer produziert, muss effizienter sein. Doch genau diese Effizienz ersticken wir, indem wir uns selbst Fesseln anlegen. Wenn Unternehmen mehr Zeit mit Verwaltung als mit ihrem eigentlichen Kerngeschäft verbringen, leidet die Produktivität. Wir können die Weltmarktpreise für Energie kaum diktieren, aber wir können aufhören, uns selbst im Weg zu stehen. Der Abbau dieser bürokratischen Lasten ist daher keine bloße Verwaltungsreform – es ist das günstigste und effektivste Konjunkturpaket, das der Politik zur Verfügung steht.
Milliardenbelastung für den Standort
Die Dimension dieses selbstgemachten Problems ist gewaltig. Laut Berechnungen des Wirtschaftsforschungsinstituts Economica wendet der österreichische Unternehmenssektor jährlich bis zu 15 Milliarden Euro auf, um bürokratische Vorgaben zu erfüllen. Brechen wir das auf Tirol herunter, zeigt eine Studie der Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung (GAW) im Auftrag der IV Tirol ein ebenso schmerzhaftes Bild: Allein in unserem Bundesland binden bürokratische Hürden jährlich rund 52 Millionen Euro an Ressourcen. Geld und Arbeitszeit, die in Forschung, Innovation und Produktion fehlen. Wenn 71 Prozent der österreichischen Betriebe Regulierung als Investitionshindernis nennen, besteht dringender Handlungsbedarf.
Wichtige Signale und überfällige Systemwechsel
Das kürzlich präsentierte Entbürokratisierungspaket der Bundesregierung ist daher ein wichtiges Signal, weil es endlich konkrete Maßnahmen setzt. Der geplante „One-Stop-Shop“ bündelt Genehmigungsverfahren, der antiquierte Zwang zur Veröffentlichung im Amtsblatt der Wiener Zeitung fällt weg und externe Sachverständige sollen Verfahren dort beschleunigen, wo Amtssachverständige fehlen. Auch der „Verfahrensturbo“ für Großverfahren ab 50 Beteiligten schafft notwendiges Tempo.
Besonders hervorzuheben ist jedoch eine politische Weichenstellung: Das Bekenntnis, die EU-Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) strikt ohne nationales „Gold Plating“ umzusetzen. Das ist ein längst überfälliger Systemwechsel, denn bisher kostet uns die nationale Übererfüllung von EU-Vorgaben hunderte Millionen Euro jährlich. Doch zur Wahrheit gehört auch: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Dieser Verzicht darf keine Ausnahme bleiben. Er muss zum unverhandelbaren Standard für jede künftige Umsetzung von EU-Recht in nationales Gesetz werden.
Tiroler Vorreiterrolle nutzen
Für uns in Tirol bedeutet der Vorstoß aus Wien Rückenwind für unsere eigenen Ambitionen. Mit dem Tirol Konvent und der digitalen Verfahrensplattform, die wir gemeinsam mit dem Land vorantreiben, nehmen wir eine Vorreiterrolle ein. Ab 2026 soll der Pilotbetrieb starten – mit dem Ziel, Verfahren von der Einreichung bis zum Bescheid digital und transparent abzuwickeln. Doch wir dürfen uns keinen Illusionen hingeben: Technik allein ist kein Allheilmittel. Entscheidend für den Erfolg all dieser Maßnahmen – ob Bundesgesetz oder Landesplattform – ist der Faktor Mensch. Wir benötigen einen Kulturwandel in der Verwaltung: Weg vom reinen Abarbeiten von Vorschriften und der Suche nach Verhinderungsgründen, hin zu einer lösungsorientierten Ermöglichungskultur. Ein Gesetzestext kann noch so schlank sein; wenn er in der Vollziehung restriktiv ausgelegt wird und Entscheidungen auf die lange Bank geschoben werden, gewinnt der Standort nichts.
Wir haben in Tirol eine funktionierende Verwaltung, aber unser Anspruch muss sein, die schnellste und effizienteste im Alpenraum zu werden. Das Entbürokratisierungspaket des Bundes liefert dafür Bausteine, die Verfahrensplattform das Werkzeug. Aber das entscheidende Kriterium ist die gelebte Praxis in der Behörde. Ankündigungen füllen keine Auftragsbücher – was jetzt zählt, ist die spürbare Entlastung im betrieblichen Alltag.


